Heute kommt endlich das Taxigirl zum Einsatz, nachdem sie mir jeden Tag mehrfach ein Taxi angeboten hatte und ich immer nur zu Fuß laufen wollte. Zum Bahnhof „Gà Sài Gòn“ dauert es mit dem Taxi nur 10 Minuten, kostet 32.000 Dong. Ich gebe 50. (=1,90 EUR).
Um 07:15 stehe ich in der Wartehalle. Gegen 07:45 frage ich ein junges Paar, welchen Zug sie haben und zeige meine Fahrkarte. Sie fahren auch mit dem SE14, also immer hinterher. Das erspart aufregendes Suchen. Die beiden kaufen am Eingang zum Bahnsteig ein Ticket. Ich habe keine Ahnung wofür das sein soll und frage die beiden mit einer pantomimischen Einlage, ob ich so etwas auch benötige. Sie schütteln den Kopf. Als ich in den Wagen 10 komme sehe ich, dass das alles Liegeabteile sind. Ich habe aber einen „Soft-Seat“ gebucht. Die sahen auf den Fotos im Internet eher wie Flugzeugsitze aus. Zur Vorsicht gehe ich noch mal raus und lasse mir an der Wagontür von einer Zugbegleiterin bestätigen im richtigen Wagen zu sein. Ich verstaue meinen Rucksack in einer Nische oben, dann geht eine wüste Beladeaktion los. Lastenträger schleppen für die Fahrgäste schier unglaubliche Gepäckmengen heran. Jeder kleinste Platz wird genutzt. Unter den Liegen, auf den Liegen, und in der Ablage über dem Gang. Werden die alle mit Lkw´s vom Bahnsteig abgeholt? Und wo sollen wir eigentlich sitzen? Frage ich mich. Kurz vor der Abfahrt sitzen auf sechs Plätzen sieben Fahrgäste. Auf meiner Seite natürlich die vier, aber es wäre ein großes Glück gewesen, wenn es so geblieben wäre. Das kann ja lustig werden. Im Nachbarabteil hysterisches Kindergekreische. Einer packt seine Sachen wieder raus. Er merkt, dass es nicht sein Abteil ist, obwohl wir alle schon einmal unsere Fahrkarten in der Hand gehalten haben um die Wagen und PlatzNr. anzusehen und festzustellen, wer wo sitzt. Noch eine Minute bis zur Abfahrt. Ich hoffe, dass die Katastrophenkinder vom Zuggeräusch übertönt werden, wenn er sich denn in Bewegung setzt. Meine warmen Sachen sind griffbereit im Handgepäck, aber im Augenblick läuft die Klimaanlage eher lau. Wir fahren! Auf die Sekunde genaue Ausfahrt aus dem Hauptbahnhof von Ho Chi Minh City. Nach nur 1 ½ Stunden Fahrt sind wir bereits mit 9 Personen im Abteil. Ich rechne hoch. Geht es 24 Stunden so weiter, dürften wir bei etwa 30 angekommen sein und ich stelle mir von außen die zusammengequetschten, gegen das Zugfenster gepressten Gesichter vor. Na ja, neun geht ja noch. Sind ja Liegen und keine Einzelsitze. Da kann man ja zusammenrücken. Es sollte schlimmer kommen, davon habe ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Vorstellung.
Das Kulisse „Stadtgebiet“ liegt hinter uns. Draußen ziehen sie gerade Kautschukpflanzungen am Fenster vorbei. Nach vier Stunden wird die Gegend steppenähnlich. Wir sind im Hinterland von Panh Thiet. Durch diese Gegend, die hauptsächlich durch die Pflanzungen der Drachenfruchtkakteen bestimmt ist, bin ich mit Anne schon ausgiebig mit dem Moped getourt, sie kommt mir bekannt vor.
Im Abteil sind vier Liegen. Zwei oben und zwei unten. Die oberen sind von zwei Gästen gebucht, die sich auch gleich nach dort verkriechen und lang hinlegen. Mit den unteren müssen sieben Personen zurechtkommen. Das würde auch ganz gut funktionieren, wenn man denn sitzen bleiben würde. Ein Vietnamese scheint eine solche Reise aber nur im Liegen überleben zu können. Und bei sechs Leuten die sich auf zwei Liegen lang hinlegen, plus der eine Doofkopp, der immer noch sitzt, denn ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben ohne engere, unangenehme Körperkontakte durch die Nacht zu kommen, da wird es dann allmählich ungemütlich. Ich habe Füße im Rücken, auf dem Oberschenkel und gleich neben dem Gesicht, je nach der eigenen Sitz- und der Liegeposition der anderen. Vietnamesische Füße sind wie Reliefkarten. Man kann viel herauslesen. Vor allen Dingen, wenn man alle Details so unmittelbar vor Augen hat. Die eigenen Füße kann ich irgendwann dann auch nicht mehr auf den Boden stellen, denn dort liegen auch schon Fahrgäste – auf meinen Sandalen. Wenn ich mal auf den Gang will, muss ich sie anheben um an meine Latschen zu kommen.
An den Bahnhöfen sind regelrechte Märkte aufgebaut. Man verkauft u.a. die jeweiligen lokalen Spezialitäten. Ich kaufe mir als Abendessen Reis mit knackigem Gemüse und einem dünnen Schnitzel. Dazu gibt es ein kleines Tütchen mit herzhafter Sojasoße. Es schmeckt. Man nickt mir anerkennend zu und schmatzt selber so laut, dass es sogar leicht und unverkennbar zu hören ist, wenn im Nachbarabteil gefuttert wird.
Verständigung ist schwierig, nur einer kann wenig Englisch. Fragen an mich gibt es viele. Woher, wohin, wie alt. Die üblichen eben. Bis auf eine, die nach den Kindern, die wird hier erstaunlicherweise nicht gestellt. Jede Antwort, die verstanden ist, wird ausführlich diskutiert. Der kleine Sohn des Mannes der aus dem Nachbarabteil hier eingezogen ist, weil es dort noch voller ist, kommt hinzu. Irgendwann gibt es ein großes Gelächter. Man erklärt mir, dass der Kleine gemeint habe, ich sehe aus wie Onkel Ho. Ich lache mit, finde aber bis auf den Bart keine überzeugende Übereinstimmung mit Ho Chi Minh an mir. Doch grundsätzlich ist es bemerkenswert, dass man so eine komplexe Aussage verstehen kann, ohne die Sprache zu sprechen. Einfach nur anhand der Reaktionen, Gesten und in diesem Fall eben dem Namen Uncle Ho. Vieles ist eben immer dann möglich, wenn man sich aufeinander einlässt und um Verständigung bemüht. Lachen ist dabei das, was die Geschmacksträger beim Essen sind. Und wieder einmal stelle ich mir die umgekehrte Situation vor. Das hilft immer dann, wenn man Verständnis dafür entwickeln will, wie das beeindruckende multikulturelle Zusammenleben hier funktioniert. Asien verstehen, das möchte ich ja am Ende der Reise ein wenig mehr.
Also lasse ich im Geiste einen Zug durch die deutsche Provinz rattern. Im proppevollen Abteil acht Landeier und ein Ausländer. Ganz gleich ob Asiate, Farbiger, Türke, er sieht auf jeden Fall fremdartig aus. Die einander fremden Deutschen würden schon nicht miteinander umgehen als seien sie eine intakte Familie auf Reisen. Vielleicht kämen zwei oder drei von ihnen in ein Gespräch. Der Fremde bliebe davon aber im Normalfall ausgeschlossen. Würden die Deutschen überhaupt ein ehrliches Interesse daran haben, von diesem Fremden etwas über sein Land, seine Kultur, seine Reise und seine Erfahrungen zu hören? Würden sie dann auch stolz alles aufzählen was sie von seinem Land alles wissen? Geographische Begriffe wie Städtenamen, Fußballernamen und Vereine, und vielleicht einzelne Worte in seiner Sprache, um zu zeigen, wir kennen uns ein wenig aus, wie findest du das? So ganz die ungebildeten Bauern sind wir auch nicht. Wir sind weltoffen. Je länger ich darüber nachdenke, um so mehr komme ich zu dem Schluss, das eine solche Fahrt bei uns weniger locker abliefe. Die Weltoffenheit und Wissbegier der Menschen, denen ich hier immer wieder begegne, die gibt es bei uns gar nicht. Lass mich in Ruhe und stör mich nicht ist das vorherrschende Motto. In der Lektüre oder dem Handydisplay versenkt, Kopfhörer auf, und aus der realen Welt verabschiedet, so nimmt man die Mitreisenden bei uns war. Gibt es hier auch, aber ein Fremder ist allemal interessanter.
Die Schaffnerin hat einen Sauberkeitsfimmel. Sie pfeift jeden an der krümelt und sorgt so für allgemeine Heiterkeit. Aber sie ist auch im Verhalten vorbildlich und fegt ca. alle 30 Minuten den Gang. Nicht, ohne durch die offenen Abteiltüren ihre Kritik über die Zustände in den Abteilen loszuwerden. Dann kommt sie herein und will mein Luftkissen, das um meinen Hals gelegt ist, ausprobieren. Ich gebe es ihr. Sie legt es um, nickt zustimmend, und haut ohne weitere Worte damit ab. Für mich hat sich das erst einmal erledigt, aber sie schläft sicher prima damit. Als ich sie später wieder rumlaufen sehe, sage ich auf Deutsch: „Na, Klasse. Und wo ist jetzt mein Kissen?“ Mein Sitznachbar versteht auch das intuitiv und spricht die Schaffnerin an. Dann geht er los und holt das Kissen aus dem Dienstabteil. Gegen Morgen verliert das Ding Luft. Schade, aber ich fahre auf dieser Reise ja auch nicht mehr 24 Stunden mit dem Zug. Die Schaffnerin kommt wieder herein, zeigt erst auf die Halskrause und dann auf sich und meint: „Souvenir“.
Das ist eindeutig. Ich mache mit Gesten klar, dass das Teil defekt ist, Luft verliert. Sie nickt, glaubt es aber nicht. Schließlich hat sie doch eben erst damit gepennt. Ich suche noch die Hülle aus dem Handgepäck und überreiche ihr mein „Souvenir“. So kann man mit einem kaputten Luftkissen noch viel Freude bereiten. Sie bedankt sich mit Handschlag. Kurze Zeit später ist sie wieder da und will mein Ticket sehen. Was soll das denn jetzt? Hat sie es endlich gemerkt, dass das Ding kaputt ist, ist stocksauer auf mich und wirft mich beim nächsten Stopp aus dem Zug? Nein, sie will nur sehen was mein Ziel ist. Sie ist um mich bemüht. Möchte, dass ich gut ankomme und nicht falsch aussteige. Sie zeigt mir auf der Uhr, dass der Zug um 9 Uhr früh in Hue sein wird.
Wir kommen schon 8:45 an.
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